Gerichtsverfahren

„V. Nový betonte, die Enthüllung der Wahrheit über Palach sei eine Angelegenheit von einer erstrangigen politischen Bedeutung, weil dies helfen könnte, einige rechtsorientierte Personen zu besiegen und diese nach und nach unbeirrt aus den Mitteln der Massenkommunikation zu verdrängen.“

Aus der streng geheimen Aufnahme des Gesprächs des UdSSR-Botschafters in der Tschechoslowakei S. W. Tscherwonenko mit dem Mitglied des Zentralausschusses der Kommunistischen Partei (ÚV KSČ) Vilém Nový, 3. Februar 1969

Die Selbstverbrennung Jan Palachs verdammten nur konservative Kommunisten öffentlich, vor allem die Dogmatiker aus dem Kreis der Organisation der Kommunistischen Partei im Prager Stadtteil Libeň, die vom Missbrauch Palachs redeten. Die unwahre These verbreitete auch der Abgeordnete und das Mitglied des Zentralausschusses der Kommunistischen Partei (ÚV KSČ) Vilém Nový, der Ende Januar 1969 ein Interview der ausländischen Nachrichtenagentur AFP gab, in dem er die Theorie des „kalten Feuers“ veröffentlichte. Palach sei überzeugt worden, dass ihm ein Stoff übergegossen wird, der zwar brennt, dabei aber keine Hitze erzeugt (in Wirklichkeit gibt es keinen solchen chemischen Stoff). Die demonstrative Aktion sei aber misslungen und Palach sei verbrannt geworden. Verantwortlich dafür seien laut Nový „rechtsorientierte“ Schriftsteller und Publizisten.

Vilém Nový wiederholte seine These über das „kalte Feuer“ auch am 20. Februar 1969 bei einem öffentlichen Treffen der Abgeordneten mit den Wählern im Hotel Merkur in der Stadt Česká Lípa. Diesmal nannte er auch die Namen der Schuldigen, die Jan Palach zur Tat überreden sollten: die Schriftsteller Vladimír Škutina und Pavel Kohout, der Studentenvertreter Lubomír Holeček, der Sportler Emil Zápotek und der Schachspieler Luděk Pachman (in seinem Fall handelte sich wahrscheinlich um eine Rache für seine Wertschätzung von Palachs Tat – Pachman erklärte im Tschechoslowakischen Fernsehen, dass er ihn sehr schätzt, wobei er aber gleichzeitig versuchte, seine potentiellen Nachfolger von einer ähnlichen Tat abzuraten).

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Novýs Äußerungen brachten diese fünf im März 1969 dazu, Novy gemäß des Bürgerlichen Gesetzbuches wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsschutzes zu beklagen. Denselben Schritt unternahm auch Libuše Palachová, die sich von der Rechtsanwältin Frau JUDr. Dagmar Burešová vertreten ließ (diese Geschichte stellt das Hauptthema der Filmserie Brennender Strauch / Hořící keř dar).

Die einzeln eingereichten Klagen wurden schließlich am 20. Mai 1969 in einer einzigen Verhandlung zusammengefasst. Vilém Nový versuchte zuerst, das Gerichtsverfahren durch Obstruktionen in die Länge zu ziehen, in dem er sich mehrere Wochen lang verweigerte, die gerichtliche Ladung anzunehmen. Laut seiner Erklärung von Mitte Mai 1969 seien die eingereichten Klagen nur Nötigungsaktionen gewesen, deren Ziel „das Skandalisieren und die Beseitigung der der Kommunistischen Partei, dem Sozialismus und dem Bündnis mit der UdSSR treuen Funktionäre“ sein sollte. Er betonte, die Kläger seien lediglich von den Behauptungen der Journalisten ausgegangen, die seine Äußerungen stark entstellt haben. Nový machte auch darauf aufmerksam, dass er sich in der Rolle des Abgeordneten äußerte und sollte daher in diesem Falle, nach seinen eigenen Worten, Immunität genießen. Die Anwälte der Kläger wandten aber ein, dass nach der Stellungnahme des Höchsten Gerichtes der Tschechoslowakei im Falle eines Prozesses zum Persönlichkeitsschutz nur das Gericht für die Urteilsfällung zuständig ist und kein anderes Staatsorgan über solche Fälle entscheiden darf.

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Im Sommer 1969 spitzte sich die politische Situation im Zusammenhang mit dem ersten Jahrestag der August-Besetzung deutlich zu. Die Straßendemonstrationen in Prag, Brno, Liberec und Bratislava wurden mit Gewalt unterdrückt. Die Staatssicherheit schritt kurz danach gegen die Autoren und Unterzeichner der Petition Zehn Punkte ein, die die August-Besetzung und die darauf folgenden politischen Zugeständnisse verurteilte. Der Hauptdarsteller der Petition war Luděk Pachman, gemeinsam mit ihm wurden auch der Historiker Jan Tesař und der Soziologe Rudolf Battěk verhaftet. Es kam allerdings zu keinem Prozess und die drei Männer wurden nach zehn Monaten Haft entlassen. Pachman wurde deshalb von der Haftanstalt in Handschellen zur Gerichtsverhandlung gegen Vilém Nový gebracht. Obwohl er sich in der Lage eines politischen Gefangenen befand, gab er im Prozess gegen Vilém Nový im Gegenteil zu den anderen Klägern nicht nach (von den fünf angegriffenen Personen zog nur der Sportler Emil Zátopek während der Gerichtsverhandlung „selbstkritisch“ die Klage zurück).

Vilém Nový bemühte sich lange darum, dass über den Prozess nicht das Amtsgericht für Prag 7, sondern das Gericht in Česká Lípa entscheidet, was den Klägern durch den Hinweis auf eine mögliche Befangenheit Novýs zu verhindern gelang (Nový war Abgeordneter für den Kreis Česká Lípa). Nach und nach wurden Zeugen vernommen, die im Februar 1969 am öffentlichen Treffen in Česká Lípa teilnahmen. Aus ihren Aussagen erfuhren die Kläger, dass der Ablauf des Treffens auf ein Tonband aufgenommen wurde. Ende Juli 1970 sagte der Mitarbeiter der landwirtschaftlichen Redaktion des Tschechoslowakischen Rundfunks Vladimír Hončík, der das Treffen gemeinsam mit seinen Kollegen zufällig aufnahm, vor dem Gericht als Zeuge aus. Obwohl die Kläger auf diese Weise einen klaren Beweis über die verleumdenden Äußerungen von Vilém Nový gewannen, verloren sie letztendlich das Gerichtsverfahren. Zudem fällte am 30. Juli 1970 die Richterin JUDr. Jarmila Ortová ein Urteil, mit dem sie klar zeigte, dass die Justiz wieder eine bloße Dienerin der Macht war. Sie lehnte die Klage mit der Begründung ab, Vilém Nový habe auf die Kritik Jan Palachs nicht nur Recht gehabt, sondern es sei auch seine Pflicht gewesen. Die Kläger, die laut dem Urteil dem Beklagten die Kosten für das Gerichtsverfahren erstatten sollten, bezeichnete sie dann als Feinde des Sozialismus.

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