Nachahmer
„Ich tue es nicht, damit mich jemand beweint, um bekannt zu sein oder weil ich verrückt sein möchte. Zu dieser Tat entschloss ich mich deshalb, damit ihr endlich den Mut aufbringt und ihr euch nicht von ein paar Diktatoren sagen lässt, was ihr zu tun habt!“
Die Bekanntmachung von Jan Zajíc, mit der er den tschechoslowakischen Bürger ansprach, Februar 1969.
Nach zugänglichen Zeugenaussagen und Archivdokumenten existierte die im letzten Brief Palachs genannte Gruppe vermutlich gar nicht. In den ersten Monaten des Jahres 1969 schloss sich eine Reihe weiterer Leute, die ihn nicht persönlich kannten, seinem Vorbild an. Die Mehrheit von Palachs Nachahmern übernahm zwar eine Form seiner Tat, aber ihre Motive waren nicht eindeutig politisch.
Nach dem Bericht der Öffentlichen Sicherheit (VB) wurden zehn Fälle von Selbstverbrennungen auf dem Gebiet von Böhmen, Mähren und Schlesien im Zeitraum 16. bis 31. Januar 1969 registriert. Davon endeten zwei Fälle (Jan Palach und Josef Hlavatý) tödlich. Nach einer Studie von Milan Černý, der im Jahre 1969 die von der VB durchgeführte Angabe analysierte, wurden insgesamt 29 selbstmörderische Selbstverbrennungversuche zwischen Januar und April 1969 in der Tschechoslowakei durchgeführt. Daraus hatten die Taten von drei Personen (Jan Palach, Jan Zajíc und Evžen Plocek) „zweifellos einen altruistischen Charakter, die angegebenen Fälle waren politisch motiviert.“
Am 20. Januar 1969 zündete sich in Pilsen der fünfundzwanzigjährige Arbeiter Josef Hlavatý an, welcher fünf Tage später starb. Die Ärzte gaben an, dass er sich aus Protest gegen die sowjetische Okkupation anzündete. Mit einem ausdrücklichen Verweis auf Palachs Tat versuchten auch der Arbeiter Miroslav Malinka (am 22. Januar 1969 in Brünn) und der 16-jährige Lehrling Jan Bereš (am 26. Januar 1969 in Cheb) sich selbst zu verbrennen. Hlavatý, Malinka und Bereš hatten aber große persönliche oder familiäre Probleme und ihre Tat wurde deshalb von der breiten Öffentlichkeit verurteilt.
Der achtzehnjährige Student der Ingenieurschule für Eisenbahntechnik in Šumperk Jan Zajíc nahm seit dem 21. Januar 1969 am Hungerstreik zur Unterstützung von Palachs Forderungen vor dem Nationalmuseum in Prag teil. Er kam erst nach Palachs Begräbnis in seine Geburtsstadt Vítkov (Gebiet um Opava) zurück. Die stürmische Atmosphäre in der Hauptstadt beeindruckte ihn sehr. Schon während des Hungerstreiks sprach er von der Möglichkeit, sich auf gleiche Art und Weise zu opfern wie Palach, wenn kein anderer Student es tut. Weitere Teilnehmer am Hungerstreik redeten es ihm damals aus. Als er nach Šumperk zurückkam, begann er wieder über diese Möglichkeit nachzudenken und sogar in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen. Er ließ sich nicht von seinen Freunden überzeugen und mit einem seiner Freunde, Jan Nykl, fuhr er am 25. Februar 1969 mit dem Zug nach Prag. Er zündete sich im Flur des Hauses 39 auf dem Wenzelsplatz an. Er war sofort tot, ohne die Öffentlichkeit auf seine Tat deutlicher aufmerksam gemacht zu haben. Über seine Tat und die Erklärung, die er schrieb, erfuhren die Leute durch Medien und Flugblätter.
Die letzte bekannte lebendige Brandfackel auf dem tschechoslowakischen Gebiet war Evžen Plocek aus Jihlava im Jahre 1969. Er war 39 Jahre alt, Vater, Gewerkschaftler und Delegat der Tagung der der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei im Prager Stadtteil Vysočany. Er zündete sich auf dem größten Platz in Jihlava (heute Masarykplatz) am Karfreitag, dem 4. April 1969 an. An diesem Ort hinterließ er Flugblätter mit der Botschaft: „die Wahrheit ist revolutionär – so schrieb es Antonio Gramsci“ und „Ich bin für ein menschliches Gesicht, ich hasse Herzlosigkeit – Evžen.“ Seine Tat blieb außerhalb Jihlavas ohne Reaktion. Ein Grund dafür war die Tatsache, dass die Medien nicht über ihn informieren durften (im Gegensatz zu Palachs Tat).
Jan Palachs Protest gewann an großer Publizität. Er hatte auch im Ausland Nachahmer. Der sechzehnjähriger Jugendliche Sandor Bauer, der sich am 20. Januar 1969 in Budapest anzündete, meldete sich in seinem letzten Brief zu Palachs Tat. Am 13. April 1969 versuchte ein zwanzigjähriger jüdische Student Ilja Rips, der nach Palachs Vorbild gegen die Okkupation der Tschechoslowakei protestierte, sich selbst zu verbrennen. Weitere „lebendige Brandfackeln“ auf der ganzen Welt beriefen sich auf den Prager Studenten, obgleich sie bereits aus anderen Gründen protestierten.