Selbstverbrennung als Form des politischen Protests

„Der Himmel blieb weiter blau, die Musik spielte weiter. Ich erinnere mich an die Tauben. Der normale Zustand kehrte zurück.“

Erinnerung an die Selbstverbrennung von Ryszard Siwiec, Grażyna Niezgodas

Im Jahr 2005 hat der britische Soziologe Michael Biggs eine Studie veröffentlicht, in der er sich ausführlich mit der Selbstverbrennung als radikale Form des politischen Protests beschäftigte. Als historischen Ausgangspunkt für seine Forschung hat er den 11. Juni 1963 bestimmt, als sich Thich Quang Duc verbrannt hat und so wurde er zum Ersten der buddhistischen Mönche, die auf solche schockierende Weise gegen das südvietnamesische Regime protestierten. Zwei Monate später folgten seinem Vorbild weitere Personen in Saigon, unter ihnen auch eine zwanzigjährige Nonne. Ihrer Deutung nach bemühten sich die Buddhisten vornehmlich darum, ihre Feinde ans Herz zu rühren, um sie zur Beachtung der religiösen Toleranz zu bewegen. Ihre Tat präsentierten sie konsequent als eine Form des altruistischen Opfers. Dem französischen Forscher Martin Monestier zufolge ist es möglich solche Proteste als rational und logisch zu verstehen. Ihr Ziel ist es nämlich eine Welle der öffentlichen Empörung auszulösen, den Gegner dem öffentlichen Ärgernis auszusetzen und ihn dazu zwingen, verlangte Maßnahme anzunehmen. Die Selbstverbrennung als Form des politischen Protests löst in der Gesellschaft gleichzeitig auch ablehnende Reaktionen aus, die mit den religiösen oder kulturellen Auslegungen des Selbstmordes zusammenhängen. Relativ häufig kommen auch nachfolgende Nachahmungen dieser Protestform vor, deren Ursache in der Wirklichkeit in den psychischen oder anderen persönlichen Problemen liegt.

Grundsätzlich ist die öffentliche und mediale Ebene dieser Fälle, die sich aus diesem Grunde oft auf lebhaften Hauptplätzen oder an symbolischen Orten abspielten. Brennende Mönche wurden auf den Straßen von Saigon mit Fotoapparaten und Kameras von westlichen Journalisten aufgenommen, die an diese Orte vorzeitig eingeladen wurden. Durch die Medien sind dann die Buddhisten zur Inspiration für ihre Nachfolger aus anderen kulturellen Kreisen geworden. Während binnen zehn Jahren vor 1963 auf dem europäischen Kontinent nur fünf Selbstmorde durch Verbrennung registriert wurden, stieg in den folgenden zehn Jahren in demselben Gebiet ihre Zahl auf 117. Eine bemerkenswerte Reaktion hatte die Selbstverbrennung der buddhistischen Mönche auch in den USA, wo in den sechziger und siebziger Jahren die Fälle der Selbstverbrennung als Protest gegen die Teilnahme der amerikanischen Armee am vietnamesischen Krieg vorgekommen sind. Nach Michael Biggs, der 533 genügend nachgewiesene Fälle self-immolation aus dem Zeitraum 1963–2002 erforscht hat (ihre Gesamtzahl, inkl. der unvollendeten Selbstverbrennungen, schätzte er zwischen 800 bis 3000 ab), spielt sich die Selbstverbrennung am häufigsten in den asiatischen Ländern ab, wo es starke hinduistische oder buddhistische Traditionen mit dem Akzent auf die Rolle der Opfer gab und zugleich es hier ernsthafte religiöse, nationale Konflikte oder Kastenkonflikte herrschten. Auch hier tauchten am häufigsten die Wellen der Fälle der Selbstverbrennung auf. Im Verhältnis zu der Einwohnerzahl trat diese Form des politischen Protests am häufigsten unter den Kurden auf, die außerhalb des türkischen Gebiets leben (vgl. die Tabellen Nr. 1 und 2).

Seit dem Jahr 1968 sind die Fälle der Selbstverbrennung auch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nachgewiesen (vgl. Tabelle Nr. 3). Auch hier war die Inspiration durch das Vorbild der buddhistischen Mönche ersichtlich, an deren Taten die kommunistische Propaganda häufig erinnerte und sie als Proteste gegen den amerikanischen Imperialismus darstellte. Protestierende in den kommunistischen Ländern sowie die Buddhisten im Südvietnam wollten meistens die Gesellschaft auf schockierende Weise erschüttern und einen breiten Widerstand gegen autoritative Regime, die sie oft als Okkupationsregime bezeichneten, auslösen. Doch ihre Strategien, Motive und Erwartungen waren oft unterschiedlich. Als erster im Ostblock hat sich am 8. September 1968 der polnische Beamte Ryszard Siwiec angezündet, der gegen die Invasion der fünf Staaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im August 1968 protestierte. Doch seine Tat löste die vorausgesetzte Reaktion nicht aus und auch dank der Geheimpolizei ist sie in Vergessenheit geraten. Im Gegenteil ein ganz außerordentliches Echo zu Hause und in der Welt fand die Tat von Palach, über die sogar auch kommunistische Medien im Ostblock berichteten. Seinem Vorbild nach hat sich in folgenden Monaten eine Reihe von Personen angezündet (unter ihnen Jan Zajíc und Evžen Plocek), einige von ihnen auch im Ausland (zum Beispiel der ungarische Junge Sándor Bauer oder der zwanzigjährige jüdische Student aus Lettland Ilja Rips). Unruhe auf den Straßen und eine Welle der weiteren Fälle löste die Selbstverbrennung des neunzehnjährigen Arbeiters Romas Kalanta am 14. Mai 1972 aus, der sich in Kaunas aus Protest gegen die Okkupation Litauens anzündete. Eine große Reaktion in der ostdeutschen Gesellschaft gewann der Fall des evangelischen Geistlichen Oskar Brüsewitz, der sich am 18. August 1976 aus Protest gegen die Unterdrückung der Christen in der DDR und gegen die Kollaboration der Kirchenleitung mit dem Staat anzündete. Am 23. Juni 1978 beendete auf gleiche Weise sein Leben der Bauer Musa Mamut aus Protest gegen neue Deportation der Krimtataren aus ihrer Heimat. Andere lebende Fackeln aus dem Sowjetblock bekamen kaum Gehör in der Gesellschaft oder blieben sogar ohne Reaktion. Es handelte sich meistens um einsame Taten der Einzelnen, die von den Behörden oft verheimlicht oder als angebliche Taten der Psychopathen dargestellt wurden. Von einigen Taten hat die breitere Öffentlichkeit sogar erst nach dem Fall der kommunistischen Regime erfahren. An ihre tragischen Taten erinnern heutzutage die Denkmäler oder Gedenktafeln. Einige Protestierende wurden post mortem auch mit hohen staatlichen Auszeichnungen geehrt.

Literatur: >>>

Petr Blažek: Sebeupálení jako forma radikálního politického protestu ve světě (historická studie vyšla ve sborníku Solitér. Pocta historikovi Václavu Veberovi. ÚSTR, Praha 2012, s. 339-350)